Gottesdienst zur Kirchweih in Zwingenberg-Rodau
Kerb ist Kirchweih und steht damit unmittelbar in einem religiösen Kontext. Dem trug das Hochfest in Rodau Rechnung. Die heitere Stimmung zur ausgelassenen Feier verknüpften die Organisatoren im Verschönerungsverein mit einem Gottesdienst. Als am Montag das Fest in die letzte Runde mit einem Frühschoppen startete, hatte zunächst Pfarrer Hans Joachim Greifenstein im prall gefüllten Dorfgemeinschaftshaus das Wort.
„Lieber Gott, de Kerb is do“: Pfarrer Greifenstein schlug in seiner mit Dialekt unterlegten Predigt einen Ton an, der die Feierfreudigen in ihrem Tun bestätigte. Er betonte, dass das Leben nicht nur aus Arbeit bestehen muss. Die Auszeit mit gemeinsamen Festen habe einen berechtigten Raum.
Als Ausgangspunkt seiner Predigt wählte der Pfarrer die Farben Grün und Gelb, wie sie die Rodauer Flagge prägen. Die Bedeutung von Gelb ist allgemein negativ besetzt. Sie wird mit Eifersucht, Neid und Gier in Verbindung gebracht. Dahinter stecke eine in uns tief verankerte Angst, ein urmenschliches, für das eigene Überleben so wichtiges Gefühl. Der Gegenspieler ist das Grün, die Hoffnung, die sich in einer entkrampften Grundhaltung nach dem Motto: „Ach es werd schon werrn“ spiegele. Beide Seiten sind in unserer Gefühlswelt verankert.
Nachdenklich stimmte jedoch Greifensteins Frage nach der Balance der beiden Seiten in uns. Er rekapitulierte, wie die Reaktionen auf Schreckensmeldungen in uns überhand nehmen. Allein in den letzten zwei Jahrzehnten füllte sich unser Gemüt mit einer Fülle von negativen Nachrichten: Irakkrieg, BSE, Ebola, Fukushima und viele Ereignisse mehr. Selbst als die innerdeutsche Mauer fiel, hätten einige vor einer Zuwanderung von 1,5 Millionen „Ossis“ in den Westen gewarnt. Sicherlich habe die Furcht in vielen Fällen eine Berechtigung. Greifenstein hält dem einen Geist der Kraft entgegen. „Nerve behalte“ formulierte er das hessische Pendant.
Krisen und Probleme solle man mit den Augen Gottes, mit den Augen der Liebe sehen, sagte er und verwies in dem Zusammenhang auf die „Flüchtlingsproblematik“, die derzeit die Medien beherrscht. 800 000 Menschen, die aus Not und Lebensgefahr zu uns kommen, sind lediglich ein Prozent unserer Bevölkerung. „Nicht, weil es schwer ist, wagen wir es nicht, sondern weil wir es nicht wagen, ist es schwer“, zitierte er den Stoiker Lucius Annaeus Seneca aus dem 4. Jahrhundert vor Christus.
Das Augenmerk solle man auf Potenziale legen, sagte er. In Rodau stecken offensichtlich viele kollektive Kräfte, die jedes Jahr aufs Neue das Volksfest Kerb auf die Beine stellen. Von ihrer Leistung konnten sich die Besucher ein weiteres Mal überzeugen. Der Duft von gegarten Haxen und Sauerkraut durchzog den Saal, und ein Blick auf die reichhaltige Kuchentheke dürfte die Schleckermäuler ans Büfett gerufen haben. moni
© Bergsträßer Anzeiger, Mittwoch, 28.10.2015