Jugend und Kirche – kein Gegensatz, sondern untrennbar verbunden

„Kirche? Wie langweilig!“ – ich kann nicht sagen, wie oft ich diesen Kommentar bereits gehört habe und wie oft ich daraufhin zu einer langen Erklärung ansetze, warum dem eben nicht so ist. Jugend und Kirche, das gehört für die meisten Leute nicht zusammen und ich wurde oft gefragt, wie ich dazu gekommen bin, so viel meiner Freizeit mit ehrenamtlicher Arbeit zu verbringen. Ich habe darauf keine Antwort, denn es hat sich einfach so ergeben. Es kam einfach immer mehr dazu und da es mir Spaß machte, dachte ich mir jedes Mal: Warum nicht? Für mich hatte Kirche nie etwas mit Langeweile zu tun. Klar, als Kind war ich vom normalen Gottesdienst alles andere als begeistert, aber Kirche hat so viel mehr zu bieten – schade, dass viele Jugendliche bereits von ihren Eltern ein negatives Bild von Kirche vermittelt bekommen und so nicht die Chance haben das zu erleben, was ich in den vergangenen Jahren erleben durfte.

 

Meine „Karriere“ begann als Kindergottesdienstmitarbeiterin im Alter von zwölf Jahren in meiner Kirchengemeinde in Schwanheim an der Bergstrasse. Davor war ich selbst fast jeden Sonntag dort gewesen, und so war es nur natürlich, dass ich begann auch an den Vorbereitungen teilzunehmen, um für die jüngeren Kinder etwas zu organisieren. Nach meiner Konfirmandenzeit, welche im Jahr 2006 mit meiner Konfirmation endete, war es demnach auch eine logische Schlussfolgerung, dass ich von nun an als Konfi-Teamerin arbeiten würde. Meine Mutter begann damals ebenfalls, den Konfi-Unterricht mitzugestalten (- hatte davor den Kindergottesdienst geleitet und ist im Kirchenvorstand) und so hatte ich leicht die Möglichkeit, mich einzubringen. Es machte mir Spaß, Verantwortung zu übernehmen, Kleingruppen zu leiten und gemeinsam mit Pfarrer und Ehrenamtlichen das Programm zu kreiieren. Auf einer Konfifreizeit lernte ich dann das erste Mal auch Teamer aus anderen Gemeinden kennen und kurz darauf begannen Fortbildungen, welche meine Gemeinde gemeinsam mit der Nachbargemeinde Einhausen organisierte. Da es in meiner Gemeinde damals kaum jugendliche Teamer gab, war es etwas Besonderes, in Kontakt mit anderen zu kommen, die eben nicht wie meine Freunde Unverständnis zeigten, wenn ich von der Kirchenarbeit sprach, sondern die diese Leidenschaft mit mir teilten. Dabei ging es bei diesen Fortbildungen und Freizeiten alles andere als fromm zu. „Was macht ihr denn da außer beten und über Gott reden?“ – Na lustige Spiele spielen, Pizza essen, abends zusammen sitzen und etwas trinken, ganz einfach! So wie ganz normale Jugendliche – das waren wir nämlich.

 

Im April 2008 kam ich das erste Mal in Kontakt mit dem Dekanat Bergstraße. Ein Dekanat ist die „Dachorganisation“ von Gemeinden, in unserem Fall gehören 34 Gemeinden dazu. Die Dekanatsjugendreferenten organisieren gemeinsam mit Ehrenamtlichen jedes Jahr Mitarbeiterschulungen, und an einer solchen wollte auch ich dann teilnehmen. Schon auf dem Weg nach Bremen lernte ich wiederum sehr viele nette Leute kennen – manche davon sollten zu meinen besten Freunden werden. Die Mitarbeiterschulung war ein unvergessliches Erlebnis, weil ich in den vielen Workshops nicht nur Kommunikationsformen vertiefen konnte, sondern auch die rechtliche Seite der Arbeit mit Jugendlichen kennen lernte, außerdem lernte ich die Strukturen der Kirche kennen. Mir wurde klar, dass es noch so viel mehr gibt als nur die eigene Gemeinde. Man darf sich so eine Mitarbeiterschulung auch nicht als Arbeit vorstellen, es ist mehr wie eine etwas andere Klassenfahrt, auf der man auch Ausflüge macht und bunte Abende organisiert, gemeinsam singt, weil immer einige ihre Gitarren dabei haben, und schließlich gibt es eben einen gemeinsamen Jugendgottesdienst am Ende.

 

Im Jahr 2008 und 2009 verbrachte ich dann ein Jahr in Kanada, doch als ich zurück kam war ich sofort wieder bei der Konfi-Arbeit dabei. Ob Wochenenden, Freizeiten oder Fortbildungen, ich hatte nie das Gefühl, dass es eine lästige Pflicht ist – denn das ist das Tolle an der Arbeit: Es ist kein Zwang, es ist alles vollkommen freiwillig. Ich lernte bei der Arbeit viel über mich selbst und bei den Fortbildungen lernte ich, mich selbst und meine Arbeit zu reflektieren – eine sehr wertvolle Fähigkeit, die mir auch in vielen anderen Bereichen des Lebens geholfen hat. Zwischendurch gab es in unserer Gemeinde eine Zeit ohne Pfarrer, da ein Pfarrer gegangen war und wir noch keinen neuen angestellt hatten. In dieser Zeit war vor allem die Konfirmandenarbeit natürlich auf Ehrenamtliche angewiesen und wir bekamen immer mehr jüngere Teamer dazu, die selbstverständlich Hilfe brauchten, genau wie ich sie am Anfang gebraucht habe. Im Jahr 2009 fand auch das erste Mal der Dekanatskonfitag statt, wo ich gemeinsam mit zwei Freunden (die ich auf einer Mitarbeiterschulung kennen gelernt hatte) einen Workshop leitete. Das war auch eine neue Erfahrung, da wir komplett selbst für das Konzept und die Durchführung verantwortlich waren. Das Angebot dazu kam, weil wir mittlerweile durch Schulungen eben im Dekanat bekannt waren – und wer einmal begonnen hat, ehrenamtlich zu arbeiten, der wird immer mehr Möglichkeiten bekommen.

 

Das Jahr 2010 war dann ein weiterer Wendepunkt. Ich wurde 18 Jahre alt und damit in die Teamleitung der Konfirmandenarbeit aufgenommen. Wir hatten einen neuen Pfarrer, mit welchem ich mich sehr gut verstand (und auch immer noch verstehe), so dass die Arbeit noch mehr Spaß machte. Fortbildungen leitete ich mittlerweile, anstatt daran teilzunehmen. Wenn das jetzt nach Stress klingt, dann kann ich das definitiv verneinen. Natürlich war es manchmal stressig, aber es war positiver Stress, denn für mich war immer der Spaß das Wichtigste an der Arbeit und den habe ich auch nie verloren. Natürlich läuft auch in der Jugendarbeit nicht immer alles toll ab. Da gibt es Jugendliche, die sich gegen alles sperren, es gibt Mitarbeiter, die nicht so engagiert sind wie man selbst und dann ist es sehr frustrierend, wenn nichts zu Stande kommt, aber damit muss man leben können. Mit Rückschlägen umgehen zu können ist etwas, was man in allen Bereichen des Lebens tun muss, und so bleibt es auch bei dieser Arbeit nicht aus.

 

Fast zeitgleich sprach mich die Jugendreferentin des Dekanats Bergstraße an, ob ich mich nicht zur Wahl stellen möchte, um eine Jugendvertreterin im Dekanat zu werden. Dieser Gedanke war mir zuvor noch nie gekommen, da ich zwar mit dem Dekanat und seinen Gremien vertraut war, das aber nie mit mir selbst in Verbindung gebracht habe. Ziemlich spontan entschied ich mich dann, es zumindest mal zu versuchen – zu verlieren gab es ja nichts. Beim Wahlabend stellten sich fünfzehn Jugendliche zwischen 14 und 27 zur Wahl, sieben wurden gewählt – ehe ich mich versah war ich plötzlich Mitglied in der Evangelischen Jugendvertretung des Dekanats Bergstraße (EJVD). Auf meiner Agenda standen deshalb auf einmal Sitzungen, Präsentationen auf Mitarbeiterschulungen und der Synode des Dekanats (in der Synode sitzen die Kirchenvorsteher und Pfarrer) und noch so einiges mehr. Ich lernte eine komplett neue Seite der Jugendarbeit in der Kirche kennen, die auf einer höheren Ebene als der der Gemeinde stattfand. Jugendpolitik war plötzlich ein Thema und ich lernte so viele Leute kennen, darunter engagierte Jugendliche so wie ich, aber auch viele Erwachsene, die in der Kirche Entscheidungen treffen und deren unsere Meinung wichtig ist. Eine Amtsperiode der EJVD beträgt zwei Jahre, und in den zwei Jahren von 2010 bis 2012 haben wir so viel erreicht: Wir erhielten das Stimmrecht in der Synode auf unseren Antrag hin, wir organisierten Freizeiten (unter anderem Kroatien, Schweden, eine Jugendbegegnung mit Portugal), waren auf Mitarbeiterschulungen und Konfifreizeiten dabei, organisierten Jugendgottesdienste (zum Beispiel auf dem Dekanatskonfitag 2011, wo wir auch erneut Workshops leiteten), entwickelten ein Logo und überarbeiteten unsere Satzung. So war von aktiver Jugendarbeit über Jugendpolitik bis hin zu Diskussionen alles dabei. Unter anderem engagierten wir uns für den Atomausstieg und waren auf allen Vollversammlungen der EJHN (Evangelische Jugend Hessen-Nassau) – dies ist die Ebene über den Dekanaten, Jugendvertreter aus der gesamten Landeskirche treffen sich, um über verschiedene Themen zu entscheiden. Highlight der Arbeit in der EJVD war der Eröffnungsgottesdienst des Jugendkirchentages 2012, welchen das Dekanat Bergstraße komplett gestaltete und wo auch der Kirchenpräsident der Landeskirche, Volker Jung, mitwirkte. Circa 2000 Jugendliche waren an diesem Tag da, um mit uns diesen Gottesdienst zu feiern, und in solchen Momenten spürt man eine Verbundenheit, die man schlecht erklären kann. Außer uns in der EJVD wirkten noch ungefähr fünfzig andere Jugendliche mit bei dem Gottesdienst (unter anderem im Chor und in der Band), und diese Gemeinschaft am Vorabend, wenn alle nervös sind und alle alles geben, dass der Gottesdienst ein Erfolg wird – das ist mit Worten nicht zu beschreiben, es ist ein unglaubliches Gefühl, das ich so in wenigen Momenten meines Lebens gespürt habe.

 

Neben der offensichtlichen Arbeit war die EJVD aber auch so viel mehr – neue Freunde kennen lernen, mehr über Jugendarbeit lernen, so viel Spaß auf gemeinsamen Ausflügen und Festen und insgesamt ein wichtiger Teil meines Lebens. Im Jahr 2011 bin ich nach Hamburg gezogen, also ein Jahr vor Ende der Amtsperiode, doch alle sechs Jugendvertreter genauso wie die beiden Jugendreferenten und Jugendpfarrer waren der Meinung, dass wir auch das schaffen können – und das haben wir. Ich weiß nicht, wie oft ich im Auto gesessen habe, stundenlang im Stau war, nur um für zwei Tage wegen einer Sitzung oder Besprechung da zu sein, und dachte: „Wofür tue ich das eigentlich?“ Eigentlich weiß ich es ganz genau. Die Jugendarbeit ist meine Leidenschaft, ich liebe diese Arbeit und ich könnte nie ohne! Aktive Konfiarbeit kann ich jetzt natürlich nicht mehr viel machen, weil mir sowohl die Zeit als auch das Geld fehlen, um ständig in den Süden zu fahren, aber auf Freizeiten war ich trotzdem noch dabei. Der Pfarrer meiner Gemeinde hat mich bei der Verabschiedung zum „Ehren-Teamer“ ernannt – es ist ein tolles Gefühl zu wissen, dass ich immer willkommen bin und immer zurück kann.

 

Das Hobby zum Beruf machen, das sagen viele Musiker oder Schauspieler von sich, doch auch ich kann mich in dort nun einreihen, denn ich studiere seit September 2011 Soziale Arbeit in Hamburg. Nach einem Praktikum im Dekanat Bergstraße, begleitet von der Dekanatsjugendreferentin, welche mittlerweile zu einer Freundin geworden ist, gab es keine Zweifel mehr. Während der drei Monate, die ich dort arbeitete, hatte ich nicht das Gefühl auch nur einen einzigen Tag arbeiten zu müssen, obwohl wir im Durchschnitt locker über eine Vierzig-Stunden-Woche hinaus kamen. Der Kirchentag in Dresden, eine Jugendbegegnung mit Portugiesen in Rostock, Konfiarbeit in vielen Gemeinden im Dekanat, Sitzungen mit Gemeindepädagogen, Arbeitskreise, die Organisation des Dekanatskonfitags, ich hatte Einblick in so viele verschiedene Bereiche der Jugendarbeit und war mir immer sicherer, dass der Berufszweig das Richtige für mich ist. Nach über einem Jahr kann ich nun sagen: Ja, das ist er.

 

Selbstverständlich konnte ich es mal wieder nicht lassen und habe auch hier in Hamburg eine Betätigung gefunden: Im Mai 2013 wird hier der Deutsche Evangelische Kirchentag stattfinden und ich bin bereits mit den Verantwortlichen in Kontakt, um ehrenamtlich zu helfen, sowohl vor als auch während des Kirchentages.

Gerade waren auch wieder EJVD Wahlen – eigentlich wollte ich aus Rücksicht auf meine Mit-Jugendvertreter nicht mehr zur Wahl treten, doch nachdem mir alle geschlossen versichert haben, dass sie mich dabei haben wollen (und da ich ja auch eigentlich dabei sein wollte), habe ich mich überreden lassen. Ich bin erneut gewählt worden und freue mich auf zwei weitere Jahre in der EJVD, auch wenn es teilweise mehr Stress für mich bedeutet. Ich liebe genau diesen Stress, beziehungsweise eher das Gefühl, etwas erreichen und verändern zu können.  Wir haben schon so viele Pläne für das nächste Jahr, unter anderem eine Sommerparty und eine Sommerfreizeit nach Mecklenburg-Vorpommern, ganz abgesehen von dem üblichen Programm aus Sitzungen und EJHN-Vollversammlungen, Synoden und dem wieder anstehenden Dekanatskonfitag. Ich weiß noch gar nicht, was ich mache, wenn ich das 27. Lebensjahr vollendet habe – dann zähle ich nämlich nicht mehr zur Jugend in der Kirche. Wahrscheinlich muss ich mir dann eine andere Art der ehrenamtlichen Arbeit in der Kirche suchen, denn ohne kann ich mir mein Leben gar nicht mehr vorstellen. Auch wenn es so klingt, als ob ich keine Zeit für andere Dinge hätte – das ist natürlich nicht wahr. Ich studiere bisher sehr erfolgreich, reite mehrmals die Woche, gehe auf viele Rock-Konzerte in ganz Deutschland und habe sehr viele Freunde, die mit der Kirche gar nichts anfangen können. Das ist auch okay! Ich sehe mich nicht als Missionarin, ich versuche nicht, irgendjemanden davon zu überzeugen, dass Kirche das einzig Wahre ist – für mich ist diese Arbeit ein Ausgleich zu meinem normalen Leben, für andere ist es etwas anderes. Ich fühle mich in der Kirche zuhause und weiß, dass es dort Menschen gibt, die immer für mich da sein werden, und ich weiß, dass nicht jeder solche Menschen in seinem Leben hat, deshalb bin ich unglaublich dankbar dafür und auch dankbar für die Möglichkeiten, die mir durch die ehrenamtliche Arbeit in der Kirche schon gegeben wurden.

Natalie Hechler (20 Jahre)

 

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